Die Sonne geht hinter unserem Hotel auf, dass macht die ersten paar Morgenstunden erträglich. Es ist Mai, eine Reisezeit in der nicht viele Touristen in Madagaskar unterwegs sind.

Wir haben das Hotel Palissandre Cote Ouest für uns alleine. Der stahlblaue Himmel lädt zum Verweilen ein, doch die Zeit haben wir nicht, den wir sind um 7:30 Uhr mit Gérard dem Rezeptionisten des Hotels Cafe Baobab verabredet. Er wird uns heute zu einer örtlichen Schule begleiten und bei der Übersetzung helfen. In Madagaskar ist nach der Landessprache Malagasy, Französisch die zweite Amtssprache. Ich muss  ganz ehrlich gestehen, in diesem Fach war ich nie besonders gut, weswegen es mir lieber ist einen Dolmetscher dabei zu haben.

Morondava

Es geht pünktlich los zur Schule, eine staatliche Schule, wie wir sogleich erfahren. In Morondava und den angrenzenden Dörfern leben 70’000 Menschen, viele davon sind Kinder. Man sagt das 50% der Landesbevölkerung minderjährig sind, also unter 18 Jahre alt. Eine unglaubliche Zahl, welche den Staat vor eine schier unlösbare Aufgabe stellt. Es ist für das Land nicht möglich für alle Kinder einen Platz in der Schule anbieten zu können, auch wenn das per Gesetz für die ersten fünf Schuljahre obligatorisch ist. Deshalb sind im ganzen Land private Schulen anzutreffen, welche von internationalen Organisationen, Firmen oder kirchlichen Institutionen finanziert werden.

6 Lehrer sind in der EPP, der Ecole Primaire Public im Bezirk Andabatoara damit beschäftigt, 240 Kindern den Zugang zu Schulbildung zu ermöglichen.

Auf dem Weg zur Schule fahren wir durch das Fischerdorf Morondava, welches sich an der Westküste von Madagaskar befindet. Auf der Hauptstrasse, die einzige geteerte Strasse hier, wird schon rege gehandelt und eingekauft. Hier findet man alles, vom Strassenmetzger zum Apotheker bis hin zum Mechaniker. Nach dem Markt biegen wir links in eine staubige Strasse ein. Wellblech- und Holzhütten umgeben uns, es sind einfache Bauten in denen die Grosszahl der Bevölkerung wohnt, die meisten können sich was anderes nicht leisten.

Die Schule

Der Tagesverdienst liegt irgendwo zwischen drei und vier USD. Unser Auto hält vor einem umzäunten Gebäude, auf dem Vorplatz toben schon unzählige Kinder. Als wir den Platz betreten, schauen uns schon dutzende neugierige Kinderaugen an. Ich bin mir sicher, sie haben sich alle gefragt, was zum Himmel wollen diese Weissen hier. Empfangen werden wir von den Lehrerinnen der Schule, die Schulleiterin verspätet sich ein paar Minuten. Wir haben Zeit und haben uns mittlerweile ganz gut an das Tempo der Madegassen angepasst. „Mora mora“ heisst auf Malagasy nicht so schnell oder mit gemächlichem Tempo. Während dem wir warten versammeln sich alle Kinder klassenweise auf dem Hof. Ich bin erstaunt wie viele Schüler in diesem Gebäude Platz finden, sage und schreibe 240 Kinder sind auf fünf Klassen verteilt. In der grössten Klasse sind es an die 40 Schüler.

Es wuselt auf dem Hof und wird geplappert was das Zeug hält. Die Schulleiterin ist in der Zwischenzeit eingetroffen und bringt Ordnung in das Chaos, in wenigen Minuten stehen die Schüler in Reih und Glied. Nun informiert die Lehrerin über den Tag und wie das Program aussieht, zudem lässt sie die Schüler wissen, dass sie Gäste aus der Schweiz haben. Mit der Schulleiterin sprechen wir eine Mischung aus Malagasy, Englisch und Französisch, ich bin einmal mehr froh das Gérard dabei ist und uns übersetzt, während Franziska sich Notizen dazu macht und ich fotografiere. Der morgendliche Appel ist durch, die Schüler betreten einer nach dem anderen die Klassenzimmer, als ob es sich hier um eine Militärparade handelt.

Wir betreten den Klassenraum der ersten Klasse, es dringt lediglich Licht durch zwei offene Fenster und die Tür in den Raum, es ist schwül und fast unerträglich warm, es treibt nicht nur mir innert Kürze den Schweiss auf die Stirn. Auch alle anderen schwitzen kaum haben sie das Klassenzimmer betreten. Der Unterricht ist schon in vollem Gange, für ein Fach sind 20 Minuten eingeplant, der erste Teil wird gleich mit Vorlesen abgeschlossen. Der Schulplan dieser Schule sieht wie ein wild zusammen gewürfeltes Puzzle aus, es mag vielleicht sinnvoll sein, dass die Lektionen kurz gehalten werden, um so die Aufmerksamkeit der Kinder zu erhalten.

Morondava

Staat : Madagaskar
Fläche : 5’115km2
Dichte : 10,46 Einw. pro km2
Einwohner : 33’000 (2005)
Daten von wikipedia

Das Vorlesen erfolgt an der Wandtafel, die Schülerin hält einen Stock in der Hand und liest die geschriebene Geschichte vor, währenddessen die Lehrerin auf die Betonung achtet und so gleich korrigiert. Die Schule kann sich keine Schulbücher leisten, zwar wird jeder staatlichen Schule pro Schüler ein Betrag zur Finanzierung zugeteilt, hier sind es 4’000 Ariary, doch dieser reicht bei weitem nicht um alles zu finanzieren. Deshalb sind die Lehrer dazu gezwungen alle Aufgaben und informationen auf die Wandtafeln zu schreiben, die Schüler hingegen müssen alles im Notizheft abschreiben. Ein langwieriger Prozess, der das Unterrichten anstrengend und mühselig macht. Die Schülerin hat die Geschichte fertig vorgelesen, es wird ohne eine Pause zu machen zu Mathematik gewechselt.

Die erste Aufgabe steht schon an der Wandtafel und soll von einem Schüler oder Schülerin gelöst werden, nach kurzem zögern meldet sich ein Junge und schreitet zur Wandtafel. Ich weiss nicht ob ich die Aufgabe nicht verstanden habe, aber was der Junge jetzt da an die Wandtafel kritzelte überstieg meine Logik, meiner Meinung handelte es sich hierbei um eine einfache Multiplikation, die jedoch in einer Folge von Zusatzzahlen und Strichen ihr jähes Ende bei einem Ergebnis fand, dass ich nicht verstand. Wie auch immer schien die Lehrerin zufrieden zu sein und korrigierte die Aufgabe auch nicht. Wieder sind 20 Minuten um, es folgt das nächste Fach.

In der zweiten Klasse, die wir besuchen sitzen 26 fleissige Schüler und büffeln was das Zeug hält. Diese, wie auch die anderen Klassen, haben ein gutes Verhältnis zwischen Jungs und Mädels, wo man doch immer davon hört, dass den Mädchen den Zugang zur Bildung oftmals erschwert oder verunmöglicht wird, scheint es hier ganz anders zu laufen. 14 Mädchen und 12 Knaben sitzen ruhig und geordnet in den Bankreihen.

Das Schulsystem von Madagaskar

Das Schulsystem von Madagaskar ist in drei Stufen unterteilt, die Primarschule ist vom ersten bis fünften Schuljahr, danach kommen Oberstufe von der sechsten bis zur neunten, gefolgt von der Sekundarschule, dem zehnten und elften Jahr. Im fünften, neunten und elften Jahr erfolgt eine nationale Abschlussprüfung, wird diese nicht bestanden muss man wiederholen. Das Verrückte an der ganzen Sache ist, dass theoretisch jede Person, die volljährig ist und die Prüfung im neunten Jahr erfolgreich abgeschlossen hat, als Lehrer für die Grundschule tätig sein darf. Es sind keine weiteren Ausbildungen oder zusätzliche Qualifikationen nötig, dieses Vorgehen stimmt mich nachdenklich. Ich bezweifle, dass die Ausbildung der Lehrkräfte hinsichtlich pädagogischer und didaktischer Qualität ausreicht. 

Gérard lässt uns gerade wissen, dass die Schüler in dieser Klasse die letzten Monate damit verbringen sich für die Abschlussprüfung vorzubereiten, es wird daher kein Unterricht mehr gehalten und nur noch repetiert, was in den letzten fünf Jahren gelernt wurde.

6 Lehrer sind in der EPP, der Ecole Primaire Public im Bezirk Andabatoara damit beschäftigt, 240 Kindern den Zugang zu Schulbildung zu ermöglichen. Eine Lehrperson in Madagaskar verdient einen guten Lohn, der abhängig von seiner Erfahrung steigt, einsteigen tut man mit rund 150’000 Ariary, was in etwa USD 50 pro Monat entspricht. Klingt nach wenig, ist aber im Verhältnis zum Rest der Bevölkerung in einem guten Mittelmass. In der Zwischenzeit sind wir im Büro, dem Sekretariat und zugleich der Bibliothek angekommen. Hier teilen sich die Direktorin, ihre Sekretärin und die Bibliothekarin neun Quadratmeter. Die Schreibtische sind spartanisch eingerichtet, an der hinteren Wand befindet sich ein Regal mit ein paar wenigen Büchern und Heften, die der Schule zur Verfügung stehen. Ein trauriger Anblick an Material, der nur noch von der Schule in Windhoek in Namibia übertroffen wurde. 

Unsere Zeit in der Schule ist um, es war ein interessanter Einblick in das staatliche Schulsystem von Madagaskar.